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Trauerakt für die Spiegelgrundopfer

Ein Wahrnehmungsbericht

T., C.

Wir trafen um ca. 13.45 beim Tor 2 des Wiener Zentralfriedhofes ein. Zu diesem Zeitpunkt waren schon relativ viele BesucherInnen anwesend, wir schätzen 500 bis 1000 Personen.

Nächst des Friedhofes fielen gleich einmal die Promis Klestil, Fischer und Häupl auf. Die blauschwarze Entourage hat es wohlweislich unterlassen, zu dieser Veranstaltung zu erscheinen.

Die Trauergäste erwartete ein Spalier von SchülerInnen aus Wiener Schulen. Sie hielten weiße Rosen und vergrößerte Fotos der ermordeten Kinder in den Händen. Es bestand die Möglichkeit, sich in ein Kondolenzbuch einzutragen. Die VeranstalterInnen vergaßen allerdings auf höhenverstellbare Pulte, die den Bedürfnissen jener Trauergäste entsprochen hätten, die im Rollstuhl zu diesem Trauerakt kamen, was eigentlich Standard sein sollte. GebärdendolmetscherInnen konnten wir ebenfalls keine ausmachen, wobei wir nicht wissen, ob solche in der Aufbahrungshalle anwesend waren, in der allerdings nur ein Teil der vielen Trauergäste Platz fand.

Namen und Alter der ermordeten Opfer der NS-Medizin am Spiegelgrund wurden verlesen. Die Trauerfeier wurde von zahlreichen nationalen und internationalen TV-Teams, PressefotografInnen und JournalIstinnen verfolgt.

Die Trauerreden wurden von Dr. Werner Vogt und einer Schwester eines am Spiegelgrund ermordeten Mädchens eingeleitet. Anschließend sprach Dr. Ernst Berger vom Neurologischen Krankenhaus am Rosenhügel, der in seiner Rede auf die Freie Psychiatrie als Antithese zur NS-Psychiatrie, die am Spiegelgrund betrieben wurde, Bezug nahm. Danach folgten gewissermaßen die Vertreter des offiziellen Österreich in Gestalt des Wiener Bürgermeisters Häupl und Bundespräsident Klestil. Für die musikalische Untermalung sorgten eine Abordnung der Wiener Philharmoniker und ein Kinderchor, der eine Komposition von einem Überlebenden des Spiegelgrundterrors vortrug.

Sowohl Vogt als auch Häupl nahmen in ihren Reden auf Primar Heinrich Gross Bezug, einem der Hauptverantwortlichen NS-Ärzte am Spiegelgrund, der den Höhepunkt seiner Karriere allerdings in der Zweiten Republik erlebte. Häupl bedauerte zwar, dass Gross "zeitweilig" SPÖ-Mitglied war, keiner der beiden fand aber den Mut, den Täter beim Namen zu nennen.

Dann wurden die sterblichen Überreste von zwei ermordeten Kindern, stellvertretend für alle Spiegelgrundopfer, die bereits beigesetzt worden waren, zur Grabstätte gebracht, wo ein Angehöriger eines Opfers (oder selbst Opfer?) der NS-Medizin aus Hamburg eine kurze, aber eindringliche Botschaft gegen das Vergessen übermittelte. Danach verlas der Schriftsteller Robert Schindel einen bezugnehmenden Text. Um ca. 15.30 war der offizielle Trauerakt beendet.

Beim 2. Tor des Wiener Zentralfriedhofes stand eine Gruppe von Menschen mit einem Transparent mit der Aufschrift "Keinen Orden fürs Morden". (Primar Gross ist nach wie vor Träger des Goldenen Ehrenzeichens der Republik Österreich für Wissenschaft und Kunst).

Unter den zahlreichen, teilweise auch mehr oder minder prominenten Trauergästen entdeckten wir auch den Wiener Polizeigeneral Schnabl; was veranlasste ihn wohl dorthin zu gehen? Als Privatmann? Oder in offizieller Mission? Fürchtete die Polizei vielleicht ein Aneinandertreffen Linker und Rechter, was bei solch einem Anlass ja nicht völlig auszuschließen gewesen wäre?

Der Trauerakt verlief im Großen und Ganzen, von einigen subjektiven Kritikpunkten und der Tatsache, dass die Aufarbeitung der gesamten NS-Geschichte in Österreich viel zu langsam und schleppend verläuft und dass es vielen immer noch schwer fällt, die TäterInnen beim Namen zu nennen und deren Taten als das zu behandeln, was sie sind, nämlich Verbrechen, durchaus würdevoll. Es dauerte aber immerhin 61 Jahre, bis ein Teil dieser Kinder wenigstens eine letzte Ruhestätte fand. Ein bitterer Nachgeschmack bleibt.

Viele Opfer des verbrecherischen NS-Regimes warten nach wie vor auf ihre Anerkennung. Wehrmachtsdeserteure, Homosexuelle, so genannte Asoziale u.v.a.m. werden rechtlich, politisch und moralisch nach wie vor stigmatisiert und diskriminiert, ihre Opfereigenschaft wird negiert. Somit entfallen auch finanzielle Ansprüche auf Pension oder Entschädigungszahlungen, während Kriegsgefangene und TäterInnen anerkannte Mitglieder der Gesellschaft sind und für die Zeit ihres Kriegsdienstes oder der Verbrechen Pension und andere Bonifikationen erhalten.

Die Schwester eines Opfers rezitierte ein Gedicht von Erich Fried, in dem es u.a. heißt:

"Die Jungen wissen nichts, weil sie zu jung sind. Die Alten wissen nichts, weil sie zu alt sind.", und sinngemäß:

Die Dummen sind zu dumm und die Klugen zu klug.

aus TATblatt Nr. +186 vom 2. Mai 2002

 
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