TATblatt

Staatsanwaltschaft akzeptiert kein Unentschieden
Noch kein Ende des Prozesses gegen Charles Obiora C-Ik Ofoedu?

aus Widerst@ndMUND vom 14. 10. 2000

Der Freitag der 13. beginnt gut. Wieder einmal muss die Staatsanwaltschaft unter hämischem Grinsen der Verteidigung den Strafantrag gegen Charles O. einschränken. Die Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation gemäß § 278a StGB wird ihm nicht mehr vorgeworfen. Die Gelder, die Charles für andere überwiesen hat, seien als Privatvermögen der Dealer zu betrachten. Sie waren quasi deren Erlöse und seien somit aus dem Machtbereich der kriminellen Organisation ausgeschieden. So irgendwie. Denn selbstverständlich gebe es diese kriminelle Organisation, meint die Staatsanwältin mit Nachdruck. Auf Grund dieses offensichtlichen Beweisbarkeitsmangels bleiben gegen Charles nur der Vorwurf der (wissentlichen) Geldwäscherei gemäß § 165 (2) und (3) StGB sowie der Vorwurf der falschen Zeugenaussage in einem ausgeschiedenen Parallelverfahren übrig.

Die ZeugInneneinvernahme beginnt angenehm. Frau P. erklärt dem Gericht, woher ein großer Teil des Geldes auf dem Sparbuch von Charles stammt, nämlich von ihr, um das nächste Buchprojekt von Charles zu unterstützen. Außerdem habe er Subventionen von Kulturamt und Integrationsfonds bekommen. Die Staatsanwältin ist sich nicht zu blöd, Frau P. nach einem sexuellen Verhältnis zu Charles zu fragen. Frau P. gibt weiter an, Charles habe ihr auch von den Überweisungen erzählt, was er wohl ihrer Meinung nach kaum getan hätte, wenn er gewusst hätte, dass es sich dabei um Drogengelder handelt. Als er dann einmal zu einem Kranken wegen einer Überweisung gerufen worden sei und sich der Mann als gar nicht krank herausstellte, da habe Charles sein Vertrauen missbraucht gefühlt und seitdem nichts mehr überwiesen. Der Bericht über die Lebensumstände von Charles wurde ebenfalls von Frau P. eingeleitet. Charles habe bis zu seiner Verhaftung ein kleines und völlig überfülltes Untermietzimmer bei einem Medizinstudenten über einer Tischlerei im 20. Bezirk bewohnt. Über größere Geldbeträge habe er nie verfügt. Er habe immer für seine künstlerischen Projekte gespart. Auch die anderen ZeugInnen, die mit ihm Kulturprojekte begonnen haben, können sich v.a. an Charles´ Hilfsbereitschaft - die ihm von einer Zeugin regelrecht als übertrieben vorgeworfen wird - sowie daran erinnern, dass er nie Geld hatte und sie ihm nach den Treffen immer das Bier und manchmal auch das Essen bezahlt haben. Sehr viele AfrikanerInnen seien ständig wegen irgendwelcher Behördenprobleme an ihn herangetreten. Das psychiatrische Gutachten, mit dem die Verteidigung zu beweisen versuchte, dass Charles in Stress-Situationen dazu neige, unkontrolliert Unsinn zu reden, erbrachte nichts dergleichen. Auf dieser Ebene waren die Vernehmungsprotokolle von Polizei und Untersuchungsrichterin nicht in Zweifel zu ziehen. Anschließend berichtet Inspektor F. von der erstaunlich entspannten Atmosphäre, in der das mehr als fünfstündige zweite Verhör von Charles noch innerhalb von 48 Stunden nach seiner Verhaftung bei der Polizei stattgefunden hat. Angeblich habe Charles selbst auf einer Vernehmung in Deutsch bestanden. Dies wurde seltsamerweise nicht im Protokoll vermerkt. In etwas breiterem Wiener Dialekt betont der Inspektor, dass Charles perfekt deutsch spreche und eigentlich eh alles verstanden habe. Zirka zur Halbzeit - also nach zweieinhalb Stunden - sei aber dann doch eine Dolmetscherin aus dem Nebenraum zugezogen worden, weil das den Beamten plötzlich wichtig erschienen war. Auch dazu ist nichts im Protokoll vermerkt. Inspektor F. gibt an, dass eigentlich sein Kollege das bessere Englisch spreche. Logischerweise (?) sei deshalb dieser an der Schreibmaschine gesessen, während es die Aufgabe des weniger Sprachbegabten Inspektor F. war, die Fragen zu formulieren. Dabei habe er das Protokoll von der ersten Einvernahme hergenommen und die "Widersprüche abgeklopft". Bezüglich der fehlenden Brille meint Inspektor F. nur, dass Charles sich das Protokoll sehr wohl durchgelesen habe. Er habe es sich einfach in der richtigen Distanz hingelegt und es so "fokussiert". Rechtsanwalt Fehringer verzichtet auf den Vorhalt des Augennervenleidens (Starkast?) von Charles, das nichts mit Kurz- oder Weitsichtigkeit zu tun hat. Jedenfalls habe die Dolmetscherin das Protokoll zum Schluss Wort für Wort übersetzt. Dass Charles angibt, er habe das Geld für die anderen Leute überwiesen, weil diese teilweise keine entsprechenden Papiere gehabt hätten, bezeichnet Inspektor F. als Schutzbehauptung. Es sei nämlich laut seinen eigenen Erhebungen bei Western Union bis zu einem Betrag von 200.000.- ATS gar nicht notwendig, einen Ausweis zu zeigen. (Der höchste von Charles überwiesene Einzelbetrag beläuft sich auf 96.000.- ATS). Leider wird hier die Frage nicht gestellt, warum Charles dann überhaupt seinen Ausweis bei jeder Überweisung hergezeigt hat, da er doch gewusst haben soll, dass es Drogengelder waren. Naja.

Inspektor B, der das Protokoll getippt hat, antwortet auf die Fragen des Richters mit genau den gleichen Worten wie sein Kollege vor ihm. Diesmal bohrt Rechtsanwalt Fehringer etwas stärker nach. Es geht darum, ob Charles damals ausgesagt hat, dass er zum Zeitpunkt der Überweisung davon wusste, dass es sich um Drogengeld handelt, oder ob z.B. durch eine unsaubere Übersetzung das Protokoll seine Worte falsch wiedergebe, weil er zwar zum Zeitpunkt der Einvernahme wusste, dass es sich um Drogengeld gehandelt hat, nicht jedoch zum Zeitpunkt der Überweisung. Diese juristisch entscheidende Feinheit scheint Inspektor B. nicht beizubringen zu sein, weshalb er drei mal seine Version wiederholt (die Interpretationen in beide Richtungen offen lässt), bis es dem Richter zu blöd wird und er den Zeugen so interpretiert, dass Charles es zum Zeitpunkt der Überweisung gewusst hat. Damit war der Schuldspruch bezüglich der Geldwäscherei quasi vorweggenommen. Einzig die Einvernahme der damals zu spät hinzugezogenen Dolmetscherin hätte hier noch was ändern können, aber das war nicht zu erwarten.

Zunächst war mal Pause und der Richter kündigte an, dass er nun den anonymisierten Zeugen (AZ1) vernehmen wolle, natürlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Verhandlungssaal wurde großräumig abgeschirmt. Das Publikum musste sich am Gang hinter eine Glastüre zurückziehen und außerdem wurde gefinkelterweise in einem anderen Stockwerk weiterverhandelt. Nach ca. 45 Minuten versammelten sich alle wieder im Saal 106. Nun wurden Charles die Aussagen des AZ1 vorgehalten. Charles habe im China-Restaurant „Willkommen“ immer an einem Cheftisch gesessen und Instruktionen erteilt, zum Beispiel die Omofuma-Demonstration organisiert. Er sei meistens den ganzen Tag dort gewesen. Mit Drogen habe er ihn nie gesehen und er sei auch nie mit einem der Dealer aufs WC gegangen. Aber er habe Gelder übernommen und unter dem Tisch gezählt, sodass niemand sehen konnte, wie viel es war. Jedenfalls habe er eine führende Rolle in der Organisation gespielt. Offenbar ist diese Aussage selbst der Staatsanwältin zu dünn, weil sie es nicht auf sich nimmt, den Strafantrag wieder auf organisierte Kriminalität auszudehnen. Charles reagiert auf Vorhalt dieser Aussagen etwas ungehalten, beschwert sich darüber, dass er den AZ1 nicht sehen durfte. Dies sei einer zivilisierten Gesellschaft nicht würdig. Er beschwert sich außerdem über den Umstand, dass ihm der eine Inspektor mit dem Dialekt nicht übersetzt worden sei. Rechtsanwalt Fehringer geht mit Verweis auf die Videoüberwachungen des Chinarestaurants kurz auf die Aussagen des AZ1 ein: Erstens hätte Charles dann öfter auf den Videoaufzeichnungen zu sehen sein müssen und auch die Geldübergaben wären zu sehen gewesen. Nach einer weiteren Pause wird die Dolmetscherin vernommen, die bei der Übersetzung des entscheidenden zweiten Vernehmungsprotokolls bei der Polizei mitgewirkt hat. Sie ist eigentlich gerichtlich beeidete Dolmetscherin für die türkische Sprache, hat aber auch eine akademische Englischprüfung vorzuweisen. Sie gibt an, dass sie prinzipiell wortwörtlich übersetzt und reagiert ziemlich sauer, als der Rechtsanwalt sie fragt, wie sie die entscheidende Passage mit der Wissentlichkeit übersetzt hat. Sie sei nicht hier, um sich noch mal in Englisch prüfen zu lassen. Dann versucht sie ihre in Zweifel gezogene Kompetenz dadurch zu demonstrieren, indem sie die neben dem Richter sitzende Dolmetscherin der Hauptverhandlung korrigiert. Diese wiederum lässt sich das nicht gefallen, was zu einem heftigen Streit über die Übersetzung von "quite sure" ausartet; zweifelsfrei der komische Höhepunkt der Hauptverhandlung. Die Polizeidolmetscherin ist ganz offensichtlich mit gewissen Feinheiten der englischen Sprache nicht vertraut. Anstatt aber das von seiner Dolmetscherin geworfene Hölzchen aufzugreifen, beendet der Richter nur das Geplänkel und signalisiert damit, dass ihn auch eine schlechte Übersetzung nicht von seiner Meinung abbringen wird, dass Charles zum Zeitpunkt der Überweisungen gewusst hat, dass es sich um Drogengelder handelt. Im Schlussplädoyer der Staatsanwaltschaft wird dann noch auf den Vorwurf einer falschen Beweisaussage im Parallelverfahren gegen Robinson E. eingegangen. Der Verteidiger plädiert diesbezüglich auf Aussagenotstand.

Dann folgt das Urteil: Schuldspruch bezüglich der Geldwäscherei: Zehn Monate bedingt auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. 10.000.- ATS werden von Charles Sparbuch einbehalten, da über den Daumen geschätzt wird, dass er in dieser Höhe Zuwendungen für die Überweisungen erhalten hat. Freispruch bezüglich Falschaussage wegen "faktischem Aussagenotstand entgegen dem Buchstaben des Gesetzes". Hier leistet sich der Richter ein erfreuliches Gustostückerl. Er kritisiert die Technik der Ausscheidung von Verfahren und die darauf folgende Einvernahme der Beschuldigten als ZeugInnen. Er verteidigt das Recht der Beschuldigten, sich zu verantworten, wie sie wollen, auch wenn sie im technischen Sinne ZeugInnen sind. Ebenfalls Freispruch bezüglich der verwahrten Sparbücher. Charles bekommt drei Tage Bedenkzeit, ob er das Urteil annehmen will. Bei einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bewegt sich das Urteil am unteren Limit. Was besseres würde auch in der Instanz nicht herausschauen, zumal die Beweiswürdigung des Erstrichters dort nicht umzustoßen sein wird. Leider hat das Urteil die Konsequenz, dass die Aufenthaltsberechtigung von Charles nicht verlängert werden wird. Die Sorge wegen einer sofortigen Abschiebung wird uns jedoch von der Staatsanwältin abgenommen, die sofort volle Berufung und Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil ankündigt. Wenn dies von der Oberinstanz nicht als unbegründet abgewiesen wird, dann wird es in vier bis sechs Monaten die nächste Runde geben. Und die Moral von der Geschicht‘: Bei der Polizei nix unterschreiben und nie sagen außer Name, Geburtsdatum, Meldeadresse. Zu mehr gibt’s keine Verpflichtung, basta!

>> Bericht vom ersten Prozesstag

Ofoedus Erleben der Operation Spring und seine Erfahrungen mit rassistischer Polizei- und Justizgewalt können in seinem Buch "Morgengrauen" nach gelesen werden.
Rezension bei dérive:
>> http://www.t0.or.at/~derive/operation_spring/morgengrauen.htm

Hintergrundinformationen zur Operation Spring bei "Für eine Welt ohne Rassismus":
>> http://www.no-racism.net/staatsrassismus/operationspring/operationspring_index.htm
und bei dérive:
>>  http://www.t0.or.at/~derive/operation_spring/inhaltopspring.htm


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